Donnerstag, 29. Oktober 2009
Grausam
Meine Tochter hat in den letzten Monaten ja echte Probleme mit ihrem Vater. Er ist sauer, weil sie sich manchmal zu kurzfristig bei ihm meldete, um den ohnehin damals feststehenden Papa-Dienstag zu bestätigen. Oft genug, hat er ihn abgesagt, wenn sie erst montags fragte, ob er dienstags Zeit habe. Jedesmal war es für sie schon wie ein Schlag ins Gesicht. Vor allem, wenn seine Begründungen dafür eher dürftig und fadenscheinig waren.
Seit kurz vor den Sommerferien haben die beiden sich nun nicht mehr gesehen. J. hat zwischendurch versucht, den Faden wieder aufzunehmen. Aber er macht ihr jedes Mal Angst und ermutigt sie nicht gerade, sich einem gemeinsamen Gespräch zu stellen.

Gestern hatte er Geburtstag. J. hat sich hingesetzt, ihm einen lieben Brief geschrieben, ihm zum Geburtstag gratuliert und geschrieben, dass sie bedauert, dass sie sich gerade nicht verstehen und dass sie mit ihm reden will und sich in den nächsten Tagen telefonisch bei ihm melden wird. Sie hatte ursprünglich geplant, den Brief einfach in den Briefkasten zu werfen und wieder zu gehen. Statt dessen hat sie Mut gefasst und geklingelt.
Mit hasserfülltem Blick öffnete er ihr die Tür. Sie stammelte irgendetwas, drückte ihm den Brief in die Hand, den er aber auch keines Blickes würdigte. Dann kam seine Freundin nach Hause und rette die Situation ein kleines bisschen und bot J. die Gelegenheit zur Flucht.

Heulend kam sie zuhause an, schloss sich in ihrem Zimmer ein und weinte. Ich brauchte eine halbe Stunde, sie davon zu überzeugen mir doch bitte die Tür aufzumachen und mir zu erzählen, was passiert war.
"Er hasst mich! Er wollte mich nie haben! Ich wünschte, Du wärst nie mit ihm zusammen gekommen! Warum ist er so zu mir? Er weiß, dass Opa gerade gestorben ist und dass es mir nicht gut geht!"

Ich habe versucht ihr klar zu machen, dass nicht sie das Problem ist. Dass allein er sich falsch verhält und dass ihr Glück nicht von ihrem Vater abhängig ist und nicht sein darf. Natürlich geht es ihr dennoch leider sehr schlecht.

Wie kann ein Vater so grausam sein? Wie kann er jemanden so verletzen, der mit einem Friedensangebot vor seiner Tür steht? Wie kann ein Mensch sich so wichtig nehmen, ständig von anderen Menschen zu erwarten, dass sie vor ihm kriechen? Wie kann er so oft in Folge auf einen ohnehin schon labilen Menschen eintreten?

Ich muss mich heute sehr zusammen reißen, ihm nicht irgendwelche Hass-SMS zu schicken.

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Tun Sie es nicht (mit der SMS). Das verbessert die Situation ja nicht.
Ich bin immer wieder verwundert, wie manchen Erwachsene mit Ihren eigenen Kindern umgehen. Sowas tut mir echt immer selber mit Leid.
Ich drücke die Daumen, daß Ihre Tochter sich wieder fängt.

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Ich fürchte, ohne Hilfe von außen kommen wir nicht mehr weiter...

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Ich bekomme gerade eine ganze Reihe Hilfe-Schrei-SMS von J, die völlig verzweifelt in der Schule sitzt, die sagt, dass sie gleich wahnsinnig wird.

Ich würde am liebsten sofort hin fahren und sie beruhigend in den Arm nehmen. Leider habe ich hier dringend zu tun. Ich offe aber, heute Mittag sehr zeitig Feierabend machen zu können. Und ich überlege, was ich ihr heute Gutes tun kann...

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Essen, Kino, Theater, Ausstellung, Lesung, Tanzen gehen...
Ich weiß, das ist keine Lösung, aber vielleicht bringt das für einen Tag auf andere Gedanken. Am Wochenende haben Sie ja mehr Zeit sich damit zu befassen.

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Habe sie von der Schule abgeholt und lang ersehnte Pommes gekauft. Gleich kommt der Gitarrenlehrer, der mit ihr aber Mathe machen wird. Danach lasse ich Sport mal wieder sausen und backe mit ihr unsere Lieblings-Schoko-Cookies.

Und schwupp ist der schreckliche Tag danach auch schon fast rum.

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Schlimm...

Und wie bewundernswert, was sie mit diesem Brief getan hat! Ich hoffe, sie kann unter der Enttäuschung spüren, wie mutig das war und wichtig für sie selbst, dass sie ihm klipp und klar seine Verantwortung zurückgegeben hat. (Und ich hoffe, sie hasst sich jetzt nicht für die Zuneigung zu diesem Vater, der sie offenbar nicht zu schätzen weiß.)

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Eben schreib sie mir noch, dass sie ihn trotzdem liebt, allein weil er ihr Vater ist. Sie versteht meine Bewunderung für den Mut, den ich hir nun schon mehrfach versichert habe, nicht. Es hat ja nichts genutzt. Ich hoffe, es wird ihr nicht dauerhaft den Mut zu solchen Aktionen nehmen.

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Ja.

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Früher, zu Hause, als Jugendliche, habe ich mich auch oft so verhalten wie der Vater ihrer Tochter. Meine jüngeren Schwestern haben mich geliebt und bewundert und wollten Aufmerksamkeit, Liebe, Spielen, ins-Bett-gerbacht-werden usw. von mir.
Wenn dann so ein kleines Mädchen vor mir stand, vielleicht mit einem Spielzeug in der Hand und mich anlächelte - einerseits hoffnungsvoll, andererseits ängstlich, weil nie klar war, wie ich reagierte, dann habe ich sie so oft grob zurückgewiesen, provoziert, verletzt, bis sie weinen. Ich konnte nicht anders, ich hätte mir nichts mehr als einen liebevollen Umgang gewünscht, ich wollte eigentlich die großartige große Schwester sein, aber es ging nicht.
Weil ich doch selber so allein war, weil sich niemand um mich gekümmert hatte, weil der Schmerz zu groß war den ich fühlte, wenn so ein kleines Mädchen zu mir wollte und ich war selber so klein, dass ich nur anderen Schmerzen zufügen konnte. Den Schmerz also abgeben. Das lief alles völlig unbewusst ab. Hätte man mich darauf aufmerksam gemacht, was ich da tue, ich hätte alles von mir gewiesen, wäre noch aggressiver geworden, hätte angefangen um mich zu schlagen - und habe es auch.

Mir gings nie gut damit. Wenn ich meine Schwestern zurückgewiesen hatte, fühlte ich mich noch elender. Aber ich hatte Angst, dass sie mir über den Kopf wachsen, dass sie keinen Respekt mehr vor mir haben, wenn ich sie nicht ständig in Angst, ob sie Zuwendung bekommen oder nicht, schweben lasse. Ich habe, wie so viele, Liebe mit Respekt verwechselt. Je größer meine Schwestern wurden, desto mehr Energie (also mehr Gewalt), musste ich gegen sie aufbringen, weil sie doch immer eigenständiger wurden, immer selbstbewusster, mich immer mehr in Frage stellten.

Auch später, in Beziehungen, bin ich oft mit meinen Lieben so umgegangen, dann allerdings subtiler, so dass man einem nichts nachweisen kann. Dass ich damit Macht ausübe, war mir nur dunkel bewusst. Erst nach einer Reihe von Therapien bin ich reifer geworden, konnte diese kleine weinende Kind in mir trösten, und kann jetzt die Einsamkeit und Verletztheit von mir selber erkennen, die mich so handeln liess. Es ist auch eine Art Schutzmauer.

Mir hat, und hätte auch früher, geholfen, wenn man dieses Spiel nicht mitspielt. Wenn man mir zu verstehen gibt, dass man mich zwar liebt, aber so einen Umgang nicht mit sich machen lässt. Also wenn meine Schwestern stärker gewesen wären, als ich es war. Mein jetziger Partner lässt es nicht zu, dass ich, wenns mir gerade dreckig geht und ich mich ganz klein fühle, mit ihm so umgehe. Er kann es mir in solchen Situationen freundlich mitteilen und mir gehts dann sofort besser.

Hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten damit. Und ich verurteile trotz allem das Verhalten dieses Mannes - ein Erwachsener sollte soviel Bewusstsein aufbringen, sein Handeln zu durchschauen. Vielleicht ist der Schmerz in ihm so übermächtig, dass er nicht hinschauen kann.

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Ihr ehrlicher Kommentar
nimmt mir die Frage vorweg, die ich Frau Diagonale grad stellen wollte: nämlich, ob der Kindsvater eigentlich je erwachsen geworden ist.

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Nein, er ist offenbar nie erwachsen geworden. Und übrigens befand er sich schon in Therapie - was aber nicht nachhaltig genutzt hat.

Ich halte es weder für meine, geschweige denn für J's Aufgabe für ein solches Verhalten Verständnis zu haben.

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@berenike Sie treten mir nicht zu nahe. Danke für Ihre ehrliche Geschichte. Sie hilft ein bisschen verstehen. Wenngleich J. das nicht helfen wird.
Sie wird leider lernen müsen, sich stärker von ihrem Vater abzugrenzen, damit er ihr nicht noch öfter weh tun können wird.

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"Verständnis haben"
(im Sinne von entschuldigen) war auch überhaupt nicht das, worauf ich mit der Frage hinaus wollte. Überspitzt gesagt: Selbst wenn ich verstehe wie einer tickt, muss mich das ja nicht davon abhalten, mich von seinem Verhalten verletzt zu fühlen (und ihn vielleicht sogar für ein Arschloch zu halten).

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Ja, danke. Es ist richtig und wichtig es so differenziert zu sehen.

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Als Außenstehender kann man natürlich nur den Kopf schütteln, andererseits hat wahrscheinlich auch jeder schon solche Muster, Kälte, Demütigungen in den eigenen Familien und Beziehungen erlebt oder beobachtet. Menschen, die einen unentwegt hinhalten, Situationen, in denen man selbst auf stur schaltet. Mit 14 muß man sowas aber nicht verstehen sollen. Und eigentlich auch nicht wollen, aber das ist leicht gesagt. Schade, das alles.

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Das Schlimme ist ja, dass man sowas mit 15 oder auch 14 - ist ja egal - nicht einfach so weg stecken kann. Zumindest nicht, wenn man wie meine Tochter eh schon leicht verletzlich ist.

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Ganz ehrlich, ich finde das mit dem Brief und dem persönlichen Vorbeibringen sehr bewundernswert und Du kannst stolz auf J. sein!
Das wird ihr zwar momentan nicht helfen (und das kann ich auch gut nachvollziehen) aber sie hat sich wie eine Erwachsene in dieser Situation verhalten. Ganz im Gegenteil zu ihrem Vater. Dass er sie hasst, glaube ich trotzdem nicht. Vielleicht kann er einfach nicht mit der Situation umgehen und macht daher alles falsch...

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Er kann in Streitsituationen mit keinem umgehen. Deswegen hat er auch mal schon über 2 Jahre nicht mit seiner Mutter gesprochen und sich erst zur Kontaktaufnahme erweichen lassen, als bei ihr eine große, recht komplizierte OP anstand. Oder mit seinem Bruder, mit dem er im Grunde seit 8 Jahren nicht spricht, obwohl sie sich bei Familienfesten regelmäßig begegnen und ignorieren. Der Bruder ist aber auch nicht besser. Mit mir hat er früher 2-3 Tage nicht gesprochen, wenn ihm mal ein Ausspruch von mir in den falschen Hals geraten ist.

Diese Kommunikationsunart war damals der Hauptgrund für meine Trennung von ihm. Ich hätte aber nie gedacht, dass er sich seiner Tochter gegenüber auch mal so verhalten würde.

Ich bin es leid. Es wir Zeit, dass ihm mal jemand zeigt, dass der Ofen aus ist. Dass er derjenige ist, der sich bewegen muss, damit die Dinge sich ändern. Dass man auch ohne ihn glücklich sein kann und dass er einen mit seiner Wut und seinem Frust nicht weiter belastet. Er muss lernen, dass er einem egal ist, wenn er sich weiter so verhält. Ich hoffe, dass J. irgendwann die Stärke besitzen wird, ihn lange genug zu ignorieren. Es wäre besser für sie - und er kann evtl noch was lernen.

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oh gott.
ihre tochter und ich scheinen den selben vater zu haben. aber haargenau!

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es ist unbegreiflich. wie kann man sein kind so behandeln? sein kind!

und was ihm vielleicht nicht klar ist, ich aber mit grosser ueberzeugung sagen kann, ist folgendes: irgendwann ist der erzeuger-bonus verspielt. irgendwann ist das kind naemlich selber so weit einzusehen, dass jemand nicht automatisch geliebt werden muss, nur weil jemand eine gewisse funktion/beziehung hat. man liebt seine eltern nicht automatisch, weil sie die eltern sind. zumindest irgendwann nicht mehr. und was man dann einsehen muss, ist, dass das auch voellig in ordnung ist. aber dafuer ist sie noch zu jung... das kommt noch.

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ich bin sprachlos. und es tut mir so unendlich leid. für ihre tochter, dieses tapfere grossartige ding, das so viel erwachsener ist als es der erwachsene eigentlich sein sollte.

nehmen sie sie ganz fest in den arm, ich weiss, das tun sie ohnehin. mich tröstet einzig, dass ich das gefühl habe, sie ist stark (und intelligent) genug, für sich einen anderen weg zu wählen...
machen sie mal ihr herz auf, ich schick ihnen ein bisschen kraft!

alles liebe, Cecie

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Ja, jeder sagt spontan, dass sie sich erwachsener verhalten hat, als ihr Vater. Ich sage ihr das zwischendurch auch immer wieder. Ich hoffe, es kommt bei ihr an und bestätigt sie darin, dass das eigentlich richtig war, was sie getan hat.

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Was haben Sie für eine mutige Tochter! Diesen Mut habe ich nie aufbringen können.
Ich habe da eine ähnliche verkorkste Beziehung zu meinem Vater. Und mittlerweile bin ich 22.
Von Außenstehenden kommt oft der Rat "Brich doch den Kontakt ab". Wir haben das allerdings schon durch und hatten 2 Jahre Funkstille. Es war noch viel schlimmer und ich habe sehr gelitten.
Ich war auch nie abhängig von meinem Vater. Zumindest nicht finanziell oder lebensorganisatorisch. Dennoch machte/macht es mir zu schaffen.
Es ist sehr schade, dass Ihre Tochter bei sich die Schuld sucht. Geben Sie ihr in solchen Situationen ein paar seelische Streicheleinheiten & hören Sie zu, mehr können Sie kaum tun.

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recording time: 6691 Tage
last track: 2014/01/25 19:09
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