Sonntag, 18. Oktober 2009
Ein großer und viele kleine Schrecken.. und auch ein bisschen Freude
Die Messe zur Beerdigung meines Vaters war der schlimmste Teil des Tages. Mein Vater war ein sehr gläubiger Christ und besuchte am liebsten Kindermessen. Er liebte es die moderneren Kirchlieder mitzusingen. Aus diesem Grunde hatten meine Mutter und ich in erster Linie auch diese Lieder ausgesucht. Um Irritationen vorzubeugen, erklärte der Pastor dies am Anfang des Gottesdienstes.

Der Pastor war ein guter Freund meines Vaters. Meine Eltern waren immer für den Pastor da und dieser wusste, dass er den beiden alles erzählen konnte, was ihn persönlich bedrückte, ohne dass es in der Gemeinde seine Runde machen würde. Dies und einige Anekdoten erzählte der Pastor mit Tränen in den Augen und alle spürten die enge, persönliche Bindung zwischen den beiden. Ich selbst stellte zwischenduch bewusst auf Durchzug und hörte nicht zu. Sonst wäre ich nicht in der Lage gewesen, meine Fürbitte zu lesen. J. konnte ihre schon nicht lesen, denn ihr ging es beim Anblick des Sarges ganz ganz schlecht. Sie hätte keinen Ton raus bekommen.

Am Ende der Messe spielte der Organist Toccata und Fuge von Bach. Leider hatten wir keine Zeit in Ruhe sitzen zu bleiben und es genießen zu können. Dabei hätte gerade das meinem Vater extrem gut gefallen.



Vor der Kirche wollten ganz viele mir und dem Rest der Familie kondulieren. Es war kaum zu ertragen. Gleichzeitig freute ich mich über ein paar der Anwesenden, weil ich mit ihrem Erscheinen nicht gerechnet hätte. So hart es war, es tat gut, sie zu sehen. Dennoch musste ich unterbrechen. Ich musste noch die Beisetzung auf dem Friedhof durchstehen und ich hatte eh schon wackelige Beine.

Auf dem Friedhof waren noch mehr Menschen, als in der Messe. Mich nahmen Menschen in den Arm, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich bekam Beileidsbekundungen von Menschen, deren Gesicht ich zwar schon gesehen hatte, mit denen ich aber sonst nie was zu tun hatte.
Ein Mann nahm mich liebevoll in den Arm und drückte mir einen dicken Kuß auf die Wange. Er schaute mich intensiv an und ich dachte: Wer is'n das? Später stellte sich heraus, es war der Sohn des Bruders meiner Großmutter.
Zu den gefühlten 500 Menschen, die da auf dem Friedhof waren, kam natürlich noch die ganze Verwandtschaft, die ich nie so geballt auf einem Fleck erlebt habe. Mein Cousin aus Berlin, der andere aus Hamburg, die Cousine aus Bamberg, die Tante mit Ehemann aus München und natürlich alle anderen, die hier in der Region geblieben sind. Fast alle waren da. Und alle haben mit gelitten.

Später im Café wurden alte und neue Geschichten erzählt. Ich erfuhr, warum einer meiner Cousins nicht anwesend war. Er ist dieses Jahr gestorben. Er war psychisch krank, hatte Diabetes, ernährte sich aber ohne Rücksicht darauf. Da er aber auch sein komplettes soziales Netzwerk zum Teufel gejagt hatte, fand man ihn erst 5 Wochen nach seinem Tod in seiner völlig verwahrlosten Wohnung.
Sein Bruder hingegen, der Cousin aus Berlin, ist vor 2 Wochen zum Professor für Physik ernannt worden. Die Hände meines Bruders zitterten verdächtig, der er hielt durch und trank keinen Alkohol. Er sagte aber auch kein Wort. Er konnte nicht. Meine Schwester ist gar nicht erst mit ins Café gekommen. Ihr war das alles zu viel. Die Tante hat 'ne neue Hüfte und eine Freundin meiner Mutter gab mir ihre Telefonnummer. Ich soll mich jederzeit melden, wenn meine Mutter oder ich Unterstützung brauchen - meine Mutter würde ja nie was sagen, dann müsse ich das eben übernehmen.

Zum Abschied wurde ich wieder vielfach gedrückt und mindestens die Hälfte der Leute mahnte mich, gut auf meine Mutter aufzupassen - ich sei die einzige echte Stütze, die sie habe.

Im Anschluß fuhr J. sich bei einem Freund ausheulen. G, mein Bruder, der Cousin aus Berlin und ich sind dann noch zu meiner Mutter gefahren. Dort guckten wir Bilder und haben den Tag Revue passieren lassen.

Nun kann langsam bitte wieder Ruhe einkehren.

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Ich glaube, damit und den ganzen anderen aufwühlenden und fordernden Ereignissen der letzten zehn Tage ist es kein Wunder, wenn die Seele auch in einer stillen Stunde noch nicht zur Ruhe kommen will. Ich wünsche Ihnen viel Trost und Balsam, dass Sie wieder zu sich kommen können (und bei aller Verantwortung, die Sie für Ihre Mutter fühlen, auch etwas von der Last der letzten Monate abgeben).

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Wahrscheinlich haben sie recht. Das würde bedeuten, dass die Therapie Ruhe heißt. Gut dass ich heute noch frei habe.

Meine Mutter kann sich übrigens sehr sehr gut selbst versorgen. Sie braucht nur immer wieder mal kurze Stubser, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist und damit sie weiß, dass sie wirklich auf mich zählen kann. Und damit sie sich wirklich meldet, wenn sie ich braucht. Es ist deutlich einfacher, als alles was in den letzten Monaten gelaufen ist. Zudem gibt sie umgekehrt ja auch mir Halt. Zu ihr hatte ich innerhalb der Familie immer die engste Bindung. Wir kriegen das schon hin.

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recording time: 6888 Tage
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