Mittwoch, 20. Februar 2008
Das Piano


Als ich noch selbstvergessen und stundenlang mit meinen Schlümpfen spielen konnte und noch keine Hausaufgaben zu machen brauchte, hörte ich meine Geschwister oft Klavier spielen. An das Spielen meiner Schwester kann ich mich am besten erinnern. Sie spielte gerne stundenlang "Pour Adeline" oder "Lovestory", letzteres mehr schlecht als recht und sie hakte immer an der selben Stelle, was sie in den Wahnsinn trieb (damit meine ich nicht den heutigen echten Wahnsinn, nur den im landläufigen Sinne bekannten und weitestgehens harmlosen Wahnsinn). Ich fand es trotzdem wunderschön und ich lauschte gebannt. Irgendwann beherrschte ich den Flohwalzer in nerviger und atemberaubender Geschwindigkeit, worunter vor allem meine Mutter litt. Ich wollte und sollte also mehr lernen. Meine Mutter sprach mit der Klavierlehrerin, ob das bei klein geratenen, total verspielten 5-jährigen eigentlich schon Sinn mache. Die Klavierlehrerin ließ mich zu einer Probestunde kommen, an die ich mich noch sehr gut erinnere. Ich war absolut beeindruckt. Zum einen davon, dass ich mein HubbaBubba-Männchen mitbringen durfte, zum anderen von dem riesigen Flügel, den Frau S. in Ihrem Wohnzimmer stehen hatte. Allein deswegen wollten das HubbaBubba-Männchen und ich wieder kommen.

Zunächst hatte ich wohl nicht so ganz geblickt, dass ich nicht so lange bleiben darf, wie ich will, denn ich spielte natürlich nie konzentriert meine 45 Minuten durch, sondern plauderte andauernd fröhlich auf Frau S. ein, weswegen sie immer wieder versuchte, meine Aufmerksamkeit wieder auf das Instrument zu lenken. Irgendwie gelang ihr das mit der Zeit immer besser.
Ganz besonders stolz war ich auf mein erstes Notenbuch:
Kleine Finger am Klavier
. Der Titel war Programm (und ist es bei mir heute noch).

Frau S. war damals ca. 50 Jahre alt. So genau weiß ich das nicht mehr, denn ich empfand sie immer als einfach "alt. Sie war jung verwitwet. Ihr Mann war Pianist und Komponist und mit seinen Noten lernen viele Schüler noch heute das Klavierspiel.
Natürlich spielte sie selbst auch sehr gut und ich saß jedesmal wie gebannt mit baumelnden Beinen und offenstehendem Mund auf ihrem Sofa, wenn sie mir ein neues Stück vorspielte, dass ich in den nächsten Wochen lernen sollte. Manchmal spielte sie auch nur kleine Melodien ganz langsam, die ich dann nach Gehör aufschreiben sollte. Das ging meist recht gut, nur hatte ich immer schon Probleme mit den einzufügenden Pausen. Die kann ich bis heute nicht lesen, geschweige denn korrekt interpretieren. Überhaupt war Frau S. sehr nicht erfolgreich, mir flüssiges Notenlesen beizubringen. Ich war immer ganz Ohr, im musikalischen aber nie Auge. Ich kann auch heute noch nicht zügig vom Blatt abspielen, was ich bei anderen neidisch bewundere.

Aber ich lernte bei Frau S. einen guten Fingersatz, exakte Triolen, die Liebe zur Musik und ein Grundverständnis für intuitive Harmonielehre. Ich kann das mit der Harmonielehre nie fachgerecht erklären. Aber ich kann es aber hören und wichtig gucken zustimmend nicken.
Ich habe auch gelernt, meine Stücke so zu spielen, dass ich sie nicht denke, sondern fühle. Wenn ich ein Stück beherrsche, denke ich nicht drüber nach. Ich spiele dann oft mit geschlossenen Augen und mache den Kopf frei. Erst spiele ich ganz leise und es entwickelt sich im Laufe des Spielens so, dass ich Stück für Stück lauter, rauher und schneller werde. Es ist ein bisschen wir Sex. Und am Ende bin ich fix und fertig, manchmal tun mir Arme und Finger weh - vor allem, wenn ich Monate lang nicht mehr gespielt habe - aber ich bin entspannt und glücklich. Oft schafft es das Klavier sogar, dass ich starke Schmerzen einfach vergesse. So lange ich spiele, brauche ich keine Schmerzmittel.

Ich will gar nicht behaupten, dass ich mein Instrument immer so innig liebte, wie ich das heute tue. Aber ich bin zumindest lange nicht ernsthaft auf die Idee gekommen aufzuhören. Im Gegensatz zu meinen Geschwistern blieb ich lange bei der Sache. Ich war aber auch nie der Star unter den Schülern meiner Lehrerin. Da war zum Beispiel Wolfgang. Ca. 5 Jahre älter als ich und ein Gott! Unglaublich, was der alles spielen konnte! Und wie! Später hat er dann auch an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Leider weiß ich nicht, was nun letztlich aus ihm wurde. Aber er war damals brilliant... fand ich.
Um so gut zu werden, war ich dann doch zu faul und zu sehr querdenkerisch. Ich spielte zwar, wie gewünscht, fast jeden Tag Klavier, aber nie das, was ich gerade üben sollte. Ich spielte halt so vor mich hin, improvisierte hier, komponierte da. Und so entstand, als ich 14 Jahre alt war Der traurige Glühwurm.. mein einziges Stück, dass je über 3 Takte hinaus ging.

Nach dem Glühwurm kam aber die Pubertät. Ich spielte zwar immernoch recht gern, aber längst nicht mehr jeden Tag. Ich ging immer weniger gern zum Unterricht und das Üben brachte nix mehr. Mit 17 oder 18 meldete meine Mutter mich dann etwas traurig vom Unterricht ab... auf Empfehlung von Frau S. Ich war eine längere Zeit einfach nicht mehr beim Unterricht erschienen.

Lange Jahre spielte ich nur noch sporadisch. Nur noch dann, wenn meine Eltern im Urlaub waren, weil das Klavier bei ihnen stand und ich mich um die Pflanzen kümmern sollte. Erst 10 Jahre später hatte ich eine Wohnung, wo das Klavier rein passte. Und nach einer erneuten Unterbrechung von 3 Jahren, steht es nun seit längerem wieder hier ich habe mehrfach jährlich glücklich meine Phasen.

Ich liebe mein Klavier.

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recording time: 6688 Tage
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