Donnerstag, 22. November 2007
Familiendrama
Meine Schwester hat den (Familien-)Laden schon immer öfters mal ordentlich durchgemischt. Psychische Erkrankungen belasten eben nicht nur den Erkrankten. Es gab viele Ups und Downs und es gab in einer Phase des Drogenkonsums auch eine Phase des Diebstahls im eigenen Hause. Und es gab viele Streits und Auseinandersetzungen, die ich mit meinen damals 13 Jahren nicht im Ansatz begriff. Immer wieder gab es Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Mal freiwillig, mal unfreiwillig - nach verwüsteten Sonnenstudios zum Beispiel.
Meist haben meine Eltern sich in Bein ausgerissen, um alles irgendwie gerade zu biegen. Haben viel Geld fließen lassen... in Renovierungen, in Therapien, in private Institutionen. Sie waren jederzeit zu Gesprächen bereit und haben meine Schwester meist mit offenen Armen wieder zuhause aufgenommen.
Heute geht es ihr verhältnismäßig gut. Sie war seit 10 Jahren in keiner Klinik mehr und versteht es gut, das Spiel mit ihren Medikamenten zu spielen, um sich stabil zu halten. Meist.
Lange Jahre lang war sie fast täglicher Gast bei meinen Eltern und ich war 1-2 Mal die Woche bei ihr... nur so zur Unterhaltung, da sie ja so gut wie keine Freunde hat. Einerseits war das für mich ein Klotz am Bein. Andererseits hat es mir aber auch oft genug wirklich Spaß gemacht.
Vor 5 Monaten heiratete sie heimlich einen etwas dubiosen Menschen. Er macht irgendwas mit Rechtsberatungen. Hat Jura studiert, ist aber kein Anwalt. Ist ja erst mal auch nicht schlimm. Dass dieser Mensch aber Kette raucht und grundsätzlich Alkohol in seiner Nähe hat, stimmt nachdenklich. Kurz vor der Hochzeit zog er natürlich bei ihr ein, in die Wohnung meiner Eltern, wo meine Schwester keine Miete zahlte. Wovon auch? Ist sie doch als Rentnerin eingestuft, kann finanziell keine großen Sprünge machen, wurde aber bis dato von meinen Eltern monatlich noch zustätzlich unterstützt. Das sollte sich jetzt ändern. Der neue Schwiegersohn wollte erst mal einen Mietvertrag.
Einige Wochen später stand meine Schwester bei meinen Eltern auf der Matte, zwei große Taschen unter dem Arm. Sie wollte weg. Sie fühlte sich eingeengt und unter Druck gesetzt. Sie bekäme keine Post mehr. Sie könne nicht mit diesem Menschen verheiratet sein. Sie organsierte alles selbst, um die Ehe annullieren zu lassen, machte dann aber einen Rückzieher und ging - warum auch immer - zu ihm zurück.
Dann kam in Anwaltsdeutsch per Einschreiben eine Mängelliste mit Fristsetzung zur Behebung dieser. In dem Moment gab meine Mutter die Angelegenheit in die Hände einer Hausverwaltung.
Seit dem gab es nur noch einen Kontakt: Sie lud meinen dementen Vater zum Kaffee ein und beschimpfte ihn 30 Minuten lang. Dann stand mein Vater auf, sagte "Ich bin sehr traurig" und ging nach hause, wo er für eine Woche schwieg.
Gestern bekam meine Mutter den nächsten Bief in Anwaltsdeutsch. Von beiden unterschrieben. Sie verlangen alle Unterlagen zum Krankheitsverlauf und allen Begebenheiten im Leben meiner Schwester. Frist: 23.11.
Meinem Vater erzählt sie davon lieber nichts.
Sie macht sich Sorgen. Einerseits um meine Schwester - geht es ihr gut? Macht sie das Spiel bewusst mit? Andererseits um sich. Was bezwecken die beiden damit? Kann/will der Kerl irgendwas einklagen?

Nun mache auch ich mir Sorgen. Aber ich bin auch wütend. Meine Eltern haben nach 25 Jahren Dauerterror und Stress endlich Ruhe verdient. Andererseits: Wie geht es meiner Schwester eigentlich?
Ich glaube, ich fahre heute nachmittag mal vorbei und frage, ob sie mit mir spontan einen Kaffee trinken will. Allein. Mal sehen, wie sie reagiert.

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Mängelliste für eine Wohnung, für die man nichts bezahlt?

Glaubst Du, Ihr seid alleine, wenn Du einfach vorbeifährst?

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Mittlerweile gibt es ja einen Mietvertrag... der aber natürlich eine recht geringe Miete fest hält. Als beide Seiten unterschrieben, war man sich ja noch wohl gesonnen.

Nein - deswegen will ich mit ihr ja irgendwo hin fahren. Neutraler Boden und allein. Sollte sie ablehen, ist das auch eine Info.
Und ich will auch gar nicht über den aktuellen Brief reden. Ich will nur plaudern und sehen, wie es ihr geht.

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Ach, drück Dir die Daumen

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Ich schwanke gerade. Werde gleich mal meine Mom anrufen und fragen, was sie von meinem Hinfahren hält. Es besteht die Gefahr, dass die beiden Weihnachten mit uns feiern wollen. Wäre schade um's lustige Weihnachtsfest, das es sonst wäre.

Schwierig.

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Gibt es eine Grenze? Und wo wäre die? Für Sie bzw. Ihre Eltern? (Ich erwarte keine Antwort darauf, mir würden sich diese Fragen halt stellen.)

Schriftsätze, Fristsetzungen im Tagesbereich, Anwaltsdrohungen... das sind Umgangsformen, bei denen meine persönliche Grenze überschritten wäre. Auch bei psychischer Krankheit. Anders gesagt: Ich käme nicht einmal auf die Idee, angesichts dessen über eine gemeinsame Weihnachtsfeier nachzudenken. Wer so mit wohlgesonnenen Familienangehörigen "kommuniziert", kündigt von seiner Seite einen respekt- und liebevollen Kontakt auf. Den gemeinsamen Kaffee würde ich schon nutzen. Aber schon mit dem klaren Ziel, deutlich zu machen, was sie da gerade verspielt, nämlich auch meine eigene Solidarität (die Sie sich ja trotz allem, und das meine ich ernst, in bewundernswerter Weise erhalten haben).

(Verzeihen Sie; ich weiß, dass ich mir kein Urteil über Ihre Familiensituation oder Ihre Schwester erlauben kann. Aber das wäre meine Haltung.)

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Lieber Himmel, danke für Ihre Worte. Es gibt nichts zu entschudligen. Sie sehen das alles völlig richtig. Genau das predige ich seit Jahren meinen Eltern. Und endlich sind sie so weit und kommen langsam zur Ruhe (mit Unterbrechungen).

Ich will heute immer weniger dahin. Es würde eh nix bringen und nur meinem Sodbrennen neues Feuer liefern. Außerdem säßen da zwei streitende Schwestern in einem Café und würden sich lächerlich machen. Ihr gegenüber kann ich seit Jahren nicht mehr die Ruhe bewaren.

Danke für die Worte. Sie haben mich dazu gebracht, erneut und unter dem von Ihnen geschaffenen Licht die Situation zu betrachten. Die Krankheit meiner Schwester erklärt vieles, entschuldigt aber nicht alles. Das haben wir zu lange getan.

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Herr Blue Sky nimmt mir die Worte aus dem Mund. Man kann nur spekulieren, was die aktuellen Beweggründe sind (ich hatte da gerade eine Ahnung, will Sie aber nicht beeinflussen), aber Krankheit entschuldigt wirklich nicht alles. (Andererseits: Solche Sperenzchen unter engen Angehörigen gibt es auch oft genug ohne psychiatrische Diagnose, man schaue sich nur mal die "gewöhnlichen" Erbschaftsstreitereien an.)

Ich finde die Idee mit dem Kaffeetrinken sehr gut. Vielleicht können Sie die Ruhe bewahren, wenn Sie wirklich nur mit dem festen Vorgang hingehen, Ihre Schwester zu erleben, um abzuschätzen, wie es ihr geht.

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Heute gehe ich erst mal nicht hin. Ich muss erst mal die aktuelle Geschichte verdauen. Und einfach "nur erleben" ist bei ihr schwierig. Sie erzählt fast nie was von selbst und will nur unterhalten werden. Sollte sie doch mal was sagen, neigt sie meist dazu, alles zu problematisieren. Alle anderen haben sich dabei immer zum negativen verändert und wollen nichts mehr von ihr wissen. Es ist schwierig, ihr eine andere Sichtweise nah zu bringen. Sie will sie nicht hören und fühlt sich schnell angegriffen. Dann ruhig zu bleiben, habe ich verlernt.

Bitte beeinflussen Sie mich und teilen Sie mir Ihre Vermutung mit. Je nach dem, kann man dann vorzeitig etwas dagegen unternehmen.

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Geht mir sehr nahe, was Sie schreiben. Ich glaube, ich ahne, wie Sie sich fühlen. Hier ähnlich.

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Wie gehen Sie damit um? Mischen Sie sich ein? Lenken Sie sich einfach ab und ignorieren die Geschichte?

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Hm. Mein Mitleid mit ihr hält sich in Grenzen. Immerhin stand sie schon mit gezücktem Messer vor mir. Was sie meinen Eltern antut, tut mir aber sehr weh. Wenn ich ihre Eskapaden mitbekomme, was zum Glück wegen der räumlichen Distanz nicht mehr regelmäßig der Fall ist, ticke ich meistens auch aus, was nicht gerade zur Deeskalation beiträgt. Und ich bekomme dann auch Ärger, weil ich mich nicht einzumischen habe. Leider geben meine Eltern immer wieder nach und verzeihen ihr, was für mich völlig unverständlich ist. Denn sie kennt keine Grenzen, keine. Aber in den Augen meiner Eltern ist sie krank, hat keine Kontrolle über sich und trägt deshalb keine Verantwortung für ihr Handeln. Im Moment denke ich, dass meine Eltern selbst wissen müssen, wie sie mit ihr umgehen. Wenn sie das mit sich machen lassen (wollen), kann ich es nicht verhindern. Sie hat eben auch ganz andere Seiten, und daran halten sie sich fest.

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Die Nummer mit dem Messer habe ich anders erlebt. Ich kam dazu, nachdem sie es gegen sich selbst verwendet hatte.

Ich kann Ihre Einstellung sehr gut verstehen. Ich sehe es ja auch so und bin froh, dass meine Eltern anscheinend endlich begriffen haben. Allerdings geht ihnen langsam altersbedingt die Puste aus... Leider. Sie hätten ihre Energie lieber für freudigeres einsetzen sollen.

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High on Adrenalin
Die Nummer mit dem Messer habe ich vor ein paar Jahren in beiden Richtungen erlebt und nachdem es bloß die irrwitzige Wiederholungsschleife dessen war, was ich vor zwanzig Jahren schon mal hatte (damals immerhin noch mit freiverteilten und ab und an gewechselten Rollen), war mir klar, daß ich solche Inszenierungen nicht brauche. Diesem ganzen Erpressungsmist, sei es physisch oder emotional, der eben auch damit einhergeht, muß man irgendwann den Boden entziehen. Das geht in der Verwandtschaft natürlich schwer, aber man darf sich auch nicht zum Co-Abhängigen machen lassen, will man nicht selbst vor die Hunde gehen. So wie Eltern lernen müssen, ihren Junkie-Kindern nicht immer wieder Geld zuzustecken. (Ist aber ein viel zu komplexes Thema, um darüber adäquat in Blogkommentaren reden zu können.)

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Ja...

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Ich glaub's ja nicht
wusste gar nicht, dass psychisch kranke Schwestern so inflationär weit verbreitet sind bei bloggers, aber endlich liege ich auch mal im Trend, denn ich hab auch eine.
Ich habe meine aber grade vor zwei Wochen aus meinem Leben aussortiert, weil ich Sorge hatte, dass ich demnächst eine Therapie brauche, wenn ich weiter auf Dauer mit ihr umgehe.
Meine ist heute offiziell gesund, sprich, sie geht nur noch 1x die Woche zur Therapie und ist gut auf ihre Medikamente eingestellt. Arbeiten kann sie nicht, kriegt dafür jetzt mengenweise Kinder. Sie ist ja schließlich gesund.
Ich persönlich komme nicht damit klar, dass ihre Krankheit für immer wie ein Welpenschutz von allen behandelt wird. Sie beißt, kratzt und teilt aus, es darf aber niemand zurückschlagen, denn dann könnte es ja wieder schlimmer werden.
Als ich merkte, wie sehr mich der Kontakt zu ihr tatsächlich selber belastet, habe ich ihn nun endlich offiziell abgebrochen. Leidtragende ist meine Mutter, die heulend danebensteht und bettelt, ich dürfe das nicht tun, aber meiner Meinung nach ist irgendwann einfach mal ein Punkt.
Ich weiß, dass sie krank ist und ich weiß, dass sie vieles nicht kann. Für mich ist das aber keine Entschuldigung, dass sie sich deshalb in keinster Weise und nirgendwo zurücknehmen muss, dass ihr alles erlaubt ist, dass ihr alles verziehen wird, dass sie schlicht für nichts mehr bezahlen muss, da sie ja durch ihre Krankheit geschützt ist.
Und ich finde es einfach nur unfair, dass die gesamte Familie unter ihrer Krankheit leidet, sie aber fröhlich eine Unverschämtheit nach der anderen begeht, ohne dass ihr jemals Grenzen gesetzt werden.
Mögen die anderen sie weiter unterstützen - für mich war ein Punkt und seitdem geht es mir ganz entschieden besser.

Einen Rat kann ich Ihnen nicht geben, Frau Diagonale, nur meine eigene Erfahrung berichten, und mir fällt es auch enorm schwer, nun zuzusehen, wie meine Mutter unter dieser Situation leidet, aber ich denke, besser wäre es, meine Schwester landet irgendwo in einer Anstalt, als dass sieben andere Familienmitglieder sich systematisch von ihr das Leben zerstören lassen.
Ich kann nicht dafür sorgen, dass meine Mutter sie "fallenlässt" - aber ich war auch nicht mehr bereit, mich und meine Familie (denn natürlich leiden auch meine Kinder darunter, wenn ich wieder völlig fertig drei Tage nicht zu gebrauchen bin, weil ich das alles so schrecklich finde) weiter dieser Krankheit eines anderen zu opfern.

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Genau so ist es. (Danke.)

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Besser noch als eine Anstalt wäre, wenn auch die anderen Familienmitglieder ihre eigenen Grenzen setzen würden (das muss ja auch nicht immer gleichbedeutend mit Kontaktabbruch sein). Ich finde auch, es ist gut, dass Sie es getan haben.

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Nein, eine Anstalt würde ich meiner Schwester dann doch nicht gönnen. Sie soll einfach nur IHR Leben leben und die anderen in Ruhe lassen. Selbst mein Bruder hat sich schon mit ihr überworfen. Und das will was heißen.

Aber so Gedanken wie "Anstalt" oder "erfolgreicher Suizid" gingen mir früher, als sie deutlch kranker war schon das eine oder andere Mal durch den Kopf... und fühlte mich ganz schrecklich danach.

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Rechtlicher Rat
Liebe Diagonale, wenn Du rechtlichen Rat benötigst, dann frag' bitte in Hamburg nach. Wir würden versuchen zu helfen.

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Danke. Beruhigend zu wissen. Danke vielmals!

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versuchen sie distanz zu gewinnen, besonders innerliche. man kann diesen menschen nicht helfen, man schadet sich nur selber, und dem eigenen umfeld.

ich hatte ähnliches mehrfach im freundeskreis, mit allem pipapo. mit wirklichem verständnis allerseits, besten rundum-kontakten zu psychiatrie, polizei, sozialarbeitern, krankenhäusern, etc.

meine freundin hab' ich zweimal "gerettet": überdosis schlaftabletten wegen ihrer zwei rauschgiftsüchtigen kinder, so richtig mit krankenhaus und magen auspumpen und zehn tage unter beobachtung im kh, das dritte mal hat sie es geschafft. die kinder (beide schon gut über 20) verprassten unter staatlicher vormundschaft die kohle (vor 25 jahren waren DM 250.000.-- noch viel geld) und starben beide innerhalb von zwei jahren. sie wollte ihnen immer mit allen mitteln helfen, zahlte alles (wohnung, essen, kleider, betreuung, psychologen, etc., beide hatten nie gearbeitet), nahm sich immer zeit für die beiden, dafür standen die herzchen dann mit dem messer vor ihr und stachen zu, weil sie hätten noch geld gewollt für tabletten und so weiter.

ein bekannter kam immer zu mir sich ausheulen, tag und nacht, in mehr oder weniger regelmässigen abständen, je nachdem stocknüchtern oder stockbesoffen, hing wohl mit dem mond zusammen. fiel dabei auch gerne bewusstlos in meinem wohnzimmer um, und blieb ein paar stunden. er war am nächsten tag im krankenstand, ich ging arbeiten. auch rief er mit voliebe um drei oder vier uhr früh an, wenn er gerade ansprache brauchte, und winselte ins telefon. irgendwann nach mehr als fünfzehn jahren habe ich der sache ein ende gesetzt, ich hab' ja auch nur nerven, und davon nur eine garnitur. ein paar jahre war ruhe, dann fing das ganze wieder an. liess ich aber nicht zu. kurz darauf hat er sich umgebracht. diagnose: manisch-depressiv, alkoholabhängig.

ich hab' da noch ein paar von der sorte im angebot. viele menschen haben das, die meisten sprechen nur nicht darüber weil sie angst haben vor schuldzuweisungen. aber das ist falsch, einfach falsch. und zwar nach dem ganz einfachen rezept: wenn die krankheitseinsicht nicht vorhanden ist, kann man diesen menschen - so bedauernswert sie auch sind - nicht helfen. schon gar nicht ohne die notwendige ausbildung. und diese weise erkenntnis stammt nicht von mir, sondern von mehreren psychiatern etc., die ich - siehe oben - rat- und hilfesuchend aufgesucht habe. je schneller man sich distanziert, desto besser für das eigene seelenleben. nur wenn wirklich vom kranken selbst einsicht und absicht glaubhaft dargelegt werden, nur dann kann man versuchen ein wenig für den menschen da zu sein.

alles andere führt nur zu selbstzweifel und dem gefühl versagt oder zu wenig getan zu haben, verständnislos, egoistisch oder weiss der teufel was sonst noch gewesen zu sein. sie würden ja auch niemandem einen eitrigen blinddarm herausschneiden, auch wenn sie wissen dass er sonst an einer sepsis stirbt, manche dinge kann man einfach nicht, damit muss man sich abfinden, auch wenn das oft sehr weh tut.

und was "die anderen" sagen, kann ihnen und ihren eltern egal sein. "die anderen" können sich ja gerne einmal ein paar wochen das vergnügen gönnen, dann täten die ganz anders reden, wie sie wissen.

beschissen ist so eine situation in jedem fall, aber wenn einmal ein derartiger punkt erreicht ist, nützt nur einerseits distanz und andererseits ein guter rechtsanwalt. ich halt' ihnen die daumen, ganz fest.

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Liebe Kelef,

vielen herzlichen Dank für diesen Eintrag. Sie sehen das genau richtig. Man muss eine gewisse innere Distanz aufbauen und falls nötig sogar eine räumliche, um selbst daran nicht zu zerbrechen.
Ich glaube, ich habe den Umgang mit der Diagnose Manisch-Depressiv und Schizophrenie schon sehr früh lernen müssen. Ich sah welche Vorwürfe Freunde meiner Eltern ihnen machten, weil sie meiner Schwester in harten Phasen Hausverbot erteilten oder weil sie sie einweisen ließen, nachdem sie mal wieder einen Suizidversuch gestartet hatte oder unter Verwolgungswahn einen Linienbus angehalten hatte. "Nein, wie unmenschlich! Sie ist Eure Tochter!"schrie man auf. Kaum jemand sah, wie weh meinen Eltern dieser Schritt ohnehin schon tat. Keiner ahnte, dass die Ehe meiner Eltern daran zu zerbrechen drohte.
Ich beobachtete alles unbewusst. Ich war ja noch ein Kind und konnte es nicht bewerten. Heute weiß ich, dass meine Eltern wenigstens zwischendurch immer wieder wichtige Zeichen setzten. Leider fürhrten sie nicht langfristig zum Erfolg. Immerhin aber dazu, dass meine Schwester irgendwann so weit war, allein zu leben und sich und ihre eigene kleine Welt unter Kontrolle zu halten... wenn nur die manischen Phasen nicht wären, in denen immer wieder alles über den Haufen geworfen wird und viel zu Bruch geht. Danach ist die Bauchlandung in die Depression sehr hart.
Ich will nicht in der Haut meiner Schwester stecken. Aber helfen kann ich ihr auch nicht. Lernen muss sie es selbst und ganz allein. Intelligent genug ist sie.

Ja, ein gute Rechtsanwalt ... ich denke, meine Mutter wird sich darum kümmern... muss da mal nachhaken. Schlimm dass es so weit gekommen ist. Erst schützten meine Eltern meine Schwester vor den bösen Welt und sich selbst. Heute müssen sich sich vor ihr schützen.

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