Freitag, 19. Dezember 2008
Noch 'ne Schleife
Den heutigen Besuch bei meinem Vater hätte man wohl filmen müssen. Als ich kam, war meine Mutter gerade da und er aß eine dicke Stulle. Wieder ein Fortschritt! Bis gestern musste man ihm noch keine Stückchen schneiden, die er mehr oder weniger gezielt vom Teller angelte und auf kummen Wegen in seinen Mund schob. Heute hielt er die dicke Stulle und biss deutlich zielgerichteter und herzhaft davon ab. Auch die Schnabeltasse blieb beiseite. Er trinkt vorsichtig aber gut aus der Tasse oder Glas. Endlich mal wieder eine richtige Mahlzeit!
Nach dem Essen wollte er aufstehen und auf Toilette gehen. Auf diesen Moment hatte ich mit Sorgen gewartet. "Nein, bleib bitte sitzen. Du musst nicht auf die Toilette gehen. Du darfst bequem sitzen bleiben und diskret laufen lassen. Du hast einen Dauerkatheter." "Ich habe was?" "Einen Dauerkatheter." "Wat soll datt dann sin?" fragt er mächtig skeptisch. "Das ist ein kleiner Schlauch in Deiner Harnröhre, der Deinen Urin in diesen Beutel da leitet, der neben Dir am Stuhl hängt." Er verränkt sich, um einen Blick auf den Beutel werfen zu können. "Wo?" Ich gehe zu ihm rüber, mache den Beutel los und hebe ihn hoch, damit er ihn sehen kann. "Guck! Da ist auch schon Pipi drin, dass Du heute schon ohne auf die Toilette zu gehen los geworden bist." Er guckt ungläubig. "Ich muss jetzt auf die Toilette." beharrt er, als wenn ich ihm einen Bären aufbinden wolle. "Nein, Du beibst bitte sitzen. Du brauchst einfach nur laufen lassen." "Aber dann werde ich doch ganz nass!" ruft er entsetzt. "Nein nein! Eben nicht! Du warst doch schon die ganzen letzten Tage nicht auf Toilette, ohne dass Deine Blase Dir Probleme bereitet hätte. Und das dank des Katheters!" Er nästelt nervös an seinem Hosenbund herum und greift sich in die Hose. Ich bekomme Angst, dass er sich den Katheter heraus reißt. "Bitte Papi. Gucken kannst Du gerne, aber lass die Hand da weg. Das könnte Dir sonst weh tun." "Das ist mir egal. Ich will jetzt auf's Klo." "Papi, Du bist noch nicht kräftig genug, um aufs Klo zu gehen." Er guckt mich resigniert an und zieht die Hand aus der Hose. Er spielt mit den Bändern am Bund... spielt weiter. "Wie geht nochmal so ein... so eine Verbindung, mit der man das fest macht?" "Ein Knoten?" "Ja, ein Knoten." "Guck mal, dazu musst Du die beiden Enden kreuzen und dann... dieses Ende unten durch tun und fest ziehen. Fertig. Probier mal!" "Gut... also.... die Enden..." Er schafft es leider nicht ganz, die Enden so zu halten, wie er sich das vorstellt. Er sieht bei ihm unglaublich kompliziert aus. Während er sich den richtigen Weg vormurmelt, ist er sicher 10 Minuten mit dieser Übung beschäftigt. Irgendwann schafft er einen einfachen Knoten. Ich dachte, jetzt hätten wir dieses Thema für heute durch. "Gut. Das ist also jetzt der Knoten. Aber wie geht es jetzt weiter? Da ist doch noch was!" sagt er. "Oh, Du meinst eine Schleife?" "Ja!" "Hmm... das ist schon etwas schwieriger. Dazu musst Du... hier... dieses Ende so ungefähr halbieren, das andere Ende einmal drum herum und dann da durch. Guck, so. Willst Du das auch versuchen?" "Haha! Nein, jetzt ist die Hose ja endlich zu!" lacht er mich an. Pragmatismus ist was Feines.
Er will schon wieder aufstehen. "Ja, muss ich aber auf's Klo." "Nein, bleib bitte sitzen. Du hast doch den Katheter!" "Watt hab ich?" "Den Schlauch in Deiner Harnröhre." "Hä? Wo?" Er macht die Hose wieder auf. Wieder erkläre ich ihm diese bahnbrechende Erfindung, zeige ihm den Beutel und den Schlauch, der in seiner Hose verschwindet. "Aber ich werde doch nass, wenn ich ..." "Nein, glaube mir... weißt Du Hans-Dieter hat seinem Krebs vor 4 Jahren auch so einen Beutel. Immer. Wetten, er hat schon mal Pipi gemacht, während Du Dich mit ihm unterhalten hast? Und er ist dabei nie nass geworden. Oder ist Dir da mal was aufgefallen?" Er guckt mich mit großen Augen an. "Nein!" sagt er erstaunt. "Der hat den immer? Aber den kann doch wieder laufen und alles." "Ja, der Beutel hat bei ihm einen anderen Grund. Aber er braucht ihn. Jetzt kauft er seine Hosen immer eine Nummer größer, damit der Beutel mit rein passt..." "Der ist ja eh total dünn... ... ... Das sind ja ganz neue Überlegungen." ... "Aber jetzt muss ich auf Toilette."

So könnte ich jetzt noch Stunden weiter erzählen. Ich bin aber glücklich erzählen zu können, dass wir immerhin auch noch mal auf das Thema Schleifen, Anschnallgurte und Stahlrohre gekommen sind. Den Fernseher haben wir auch ausprobiert. Er will aber nur gucken, wenn ich da bin wegen der verflixt komlizierten Kopfhörer. Ach nee, die Zeit will er ja lieber mit mir nutzen. Dumme Zwickmühle. Naja, die Kiste bleibt jedenfalls aus. Und morgen hätte er gerne Fruchtsaft. Gerne auch Multivitaminsaft. Heute Abend war leider nichts da. dafür war die Mandarine umso leckerer.

"Papi, ich muss jetzt gehen." "Ich bring Dich zur Tür" sagt er natürlich und will mal wieder aufstehen. "Nein, bleib bitte liegen und werde in Ruhe gesund. Ich kenne mich aus." "Ich muss aber auf's Klo!"

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ich lese heut erst, sorry.

wie wohl fast jeder, erinnert das auch mich an eigene begegnungen in der eigenen familie. bei mir wars meine oma, die so geliebte...

ich wünsche ihnen viel kraft, ihnen und ihrer mutter.

(sie schrieben in einem der vorherigen beiträge, dass sie die einzige sind, die mit der gegenwärtigen situation umgehen kann und nicht nur dem mann hinterhertrauern, der nicht mehr da ist - so sinngemäss. ich finde das sehr wichtig, bei all der traurigkeit sich auch immer wieder zu erinnern was man hatte und was man auch immernoch hat, statt sich nur zu grämen und wütend zu sein. man geht sonst daran kaputt...)

alles gute!

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Danke für die aufmunternden Worte. Sie tun sehr gut.

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