Samstag, 14. März 2009
Bodenhaftung


Es ist schon erstaunlich, mit was für Themen man sich im Leben so beschäftigt. Mit alternden Eltern ist es ähnlich, wie mit dem Babys. Die Themen reduzieren sich gelegentlich auf Körperfunktionen und einfachste Fähigkeiten. Zu erstem Thema kann man nur sagen: Problematisch. Zu letzterem: Er scheint sich ein bisschen zu fangen. 2-3 Wochen lang war mein Vater meist griesgrämig, redete nicht viel und wenn kamen keine ganzen Sätze mehr. Wir vermuteten, dass die Demenz schon so weit fortgeschritten ist, dass Emotionen und Sprache weiter nur noch eingeschränkt funktionieren. Aber es war nicht weg. Es war nur nicht da. Nur eine Phase. Umso froher war ich, als er bei meinen Besuchen diese Woche deutlich munterer, fröhlicher und presenter war, als in den letzten Wochen. Gestern war wohl sogar ein sehr anstrengender Tag für ihn und trotzdem plauderte er mich gestern Abend tot, so dass er gar nicht richtig zum Essen kam. Zwischendurch beugte er sich aus dem Bett zu mir herüber und legte mir den Arm um die Schulter, als wäre es das normalste auf der Welt. Er erzählte mir, das die Pflegemenschen hier manchmal komisch sind. Man darf ihnen nicht ohne weiteres trauen. Aber manche sind sehr nett. Er schien genau zu wissen, wo er ist. Und er schien dankbar zu sein, dass er durch Familie und Freunde so viel Besuch bekam. Und es stimmt. Im Vergleich zu anderen Bewohnern des Heimes, ist bei meinem Vater immer Party. Meist bekommt er 2x am Tag Besuch. Wenn nicht durch meine Mutter oder mich, dann durch alte Freunde. Sogar der Vater meiner besten Grundschulfreundin, der für mich lange Jahre ein Zweitvater war, kommt jetzt 1 Mal die Woche vorbei, isst mit ihm zu Mittag und erzählt ihm von alten Zeiten und was seine Tochter und ich früher alles angestellt haben. Er bringt meinen Vater zum Lachen. Das tut gut. Uns allen.

Es gibt aber auch Freunde, die zu meiner Mutter offen und ehrlich sagen, dass sie es nicht über's Herz bringen, Dad im Heim zu besuchen. Aber einige bieten dafür meiner Mutter ihre Hilfe, ihr Ohr und Ablenkung an. Ich finde das ehrlich und legtim und auch eine gute Möglichkeit, ein bisschen zu helfen. Ablenkung hilft meiner Mutter sehr.
Vorgestern ist auch noch eine sehr liebe Freundin von ihr nach 10 Jahren Krebs gestorben. Das geht meiner Mutter gerade mehr an die Substanz, als es früher gewesen wäre. Außerdem haben sich jetzt die Wogen geglättet. Es kehrt soetwas wie Alltag ein. Man muss sich nicht mehr jedes Mal aufraffen, meinen Vater zu besuchen. Man tut es und freut sich sogar auf die bedächtige Ruhe und die zuweilen fast philosophischen Gespräche, die mir selbst zumindest sogar recht gut tun können. Aber für meine Mutter gibt es auch nichts mehr zu organisieren. Kein Formularkrieg mehr. Keine Amts- und Versicherungsrennerei und -telefoniererei mehr. Sie kommt zur Ruhe. Und gleichzeitig kommt sie zum Denken und Fühlen. Ich hoffe, sie schafft das. Immerhin redet sie mit mir darüber.

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recording time: 6920 Tage
last track: 2014/01/25 19:09
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